„Neue Bauernregel“ des Bundesumweltministeriums. Quelle: BMUB
Einiges Aufsehen haben die teilweise alarmierenden Ergebnisse der „Generalinventur“ zum Zustand von Tier- und Pflanzenwelt erregt. Deutschlands oberste Naturschützerin mahnt nun Konsequenzen an. Beate Jessel ist quasi Oberaufseherin über die wohl rund 48.000 Tierarten in Deutschland. Die Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) fordert im Interview mehr Einsatz für den Erhalt von Grünland und erläutert die große Gefahr für Brutvögel durch Maiseinöden.
Frage: Als ein Grund für die Bedrohung von Vogelarten gilt der massive Maisanbau etwa für Biogasanlagen. Wie groß ist der Bedarf?
Beate Jessel: Pro 100 Megawatt Leistung brauchen Sie eine Maisfläche von etwa 40.000 Hektar. Daher ist es so wichtig, dass mit dem neuen Erneuerbare-Energien-Gesetz der Zubau begrenzt und auf die Verwendung von Abfall- und Reststoffen beschränkt werden soll. Bei erneuerbaren Energien ist die Biomasse, was die benötigte Fläche anbelangt, im Vergleich zu Wind und Solar mit weitem Abstand die ineffektivste.
Frage: Was bedeuten die Maiseinöden für die Tiere?
Jessel: So entstehen großflächige Monokulturen ohne Wechsel in der Fruchtfolge, was Schädlinge wie den Maiswurzelbohrer begünstigt. Maisäcker sind so etwas wie eine ökologische Wüste, sie sind für viele bodenbrütende Vögel wie eine Falle. Bis in den Frühjahr hinein passiert auf den Äckern nichts, Vögel werden zum Brüten angelockt. Sobald der erste Mais hochkommt, werden die Unkräuter weggespritzt. Und dem fallen dann auch die Nester zum Opfer.
Frage: Beim Kiebitz ist der Bestand auf 63.000 bis 100.000 Exemplare zurückgegangen. Hängt das auch mit dem Maisproblem zusammen?
Jessel: Auch. Bodenbrütende Vogelarten leiden aber nicht nur unter der Zunahme der Maisäcker, sondern auch unter dem Rückgang des Grünlandes, und dass hier die Bewirtschaftung, etwa die Anzahl der Mähgänge, zugenommen hat. Das heißt, dass hier bodenbrütende Vogelarten unter die Räder kommen. Bei Kiebitz und Feldlerche haben sich die Bestände in den letzten 20 Jahren mehr als halbiert.
Frage: 29 Prozent der Arten in Deutschland geht es dem jüngsten Bericht zufolge schlecht. Wie kann sich die Lage wieder bessern?
Jessel: Wenn man in die Flächenstatistik der letzten zehn Jahre hineinschaut, zeigt sich deutlich, dass der Flächenverlust voll zulasten des für den Artenschutz so wichtigen Grünlandes gegangen ist, während das Ackerland mit leichten Wellen gleichgeblieben ist. Das macht uns große Sorgen, auch mit Blick auf den Klimaschutz. Wenn Grünland umgebrochen wird, werden erhebliche CO2-Mengen freigesetzt, je nach Standort 20 bis 35 Tonnen CO2-Äqivalente je Hektar.
Frage: Wie viel Fläche wird bereits landwirtschaftlich genutzt?
Jessel: Über 50 Prozent in Deutschland. Bei den Düngemitteln sollte der Stickstoffüberschuss bis 2010 auf 80 Kilogramm je Hektar und Jahr begrenzt werden. Mit aktuell 97 Kilo je Hektar und Jahr liegen wir noch deutlich drüber. Der Trend zeigt derzeit eher nach oben.
Frage: Wie kann der Pestizid- und Düngemitteleinsatz eingeschränkt werden?
Jessel: Eine Komponente bei der Neugestaltung der europäischen Agrarpolitik sollen ökologische Vorrangflächen sein. Das heißt, dass jeder landwirtschaftliche Betrieb fünf Prozent seiner Fläche als solche Vorrangflächen auszuweisen hat. Wenn das etwas bringen soll, muss auf diesen Flächen der Einsatz von Pestiziden und Dünger unterbleiben. Es zeichnet sich aber ab, dass es hierauf womöglich keine Einigung gibt. Aber was sind ökologische Vorrangflächen wert, wenn sich darauf keine Wildkräuter und Blühpflanzen entwickeln können, weil sie schlichtweg wegegespritzt werden?
Frage: Ein Befund der Generalinventur ist, dass es durch den Verlust von Blütenwiesen gerade den Schmetterlingen schlecht geht. Warum?
Jessel: Dadurch gehen Bestäuberpflanzen verloren. Viele Schmetterlinge sind ganz eng an bestimmte Nahrungspflanzen gebunden. Wenn diese Blühpflanzen verschwinden, weil die Wiesen nicht mehr entsprechend gepflegt oder umgebrochen werden, verschwinden auch die davon abhängigen Schmetterlinge und Insekten.
Frage: Untersucht wurden auch Deutschlands Nord- und Ostsee. So steht der Schweinswal auf der Roten Liste. Was sind die Gefahren für ihn?
Jessel: Bei der Fischerei sind das sogenannte Verwickelnetze. Wir finden zunehmend tote Schweinswale. Die Zahl hat sich an der Ostseeküste zwischen 2000 und 2009 versechsfacht. Das Beispiel zeigt, dass der Naturschutz allein es nicht richten kann. Sondern es müssen – als eine Lehre aus den jüngsten Berichten – Fischerei-, aber auch Agrarpolitik stärker zusammen mit dem Naturschutz gedacht werden.